"Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins." (Tagebücher, 1913)
Man stellt es sich ja so romantisch vor. Da sitzt Franz Kafka höchstpersönlich mit Bleistift und Papier in einem Café in der Prager Altstadt, nippt hin und wieder an seinem Kaffee, ab und an der Blick aus dem Fenster Richtung Karlsplatz oder Moldau. Wenn ihn in Folge des vielen Schreibens und hohen Papierverbrauchs die Geldsorgen heimsuchen, schreibt der junge Franz eben einen "Brief an den Vater", so soll der doch bitte aushelfen.
Wäre Kafka knapp 90 Jahre älter geworden, er hätte sich um Geld nie wieder Gedanken machen müssen. Sein Konterfei ziert Fenster, Türen, T-Shirts, Taschen, Kaffeetassen, ja, selbst vor Instantzuckertüten macht die literaturorientierte Werbeindustrie nicht Halt. Wer sich dann noch wagt, den Versuch zu unternehmen, die angeblichen Stammplätze zu zählen, die Kafka zu Lebzeiten in diversen Prager Cafés besessen haben soll, der kann nur zu einem Schluss kommen: Kafka war omnipräsent! Und er hatte Geldsorgen, weil er den lieben langen Tag nichts anderes tat als von einem Café zum nächsten zu sprinten, ein obligatorisches Getränk zu bestellen, um sich anschließend eine neue Bleibe zu suchen, damit Touristenführer Jahrzehnte später auf ein beliebiges Haus deuten und behaupten können, in diesem oder jenem habe damals Kafka gelebt. Wie dankbar muss die Stadt Prag doch dem alten Expressionisten für seine Paranoia sein, die ihn selbst leiden und innerhalb der Stadt ständig umziehen ließ! Es ist ja auch nicht so als gäbe es neben Kafka keine anderen nennenswerten (Wahl-)Prager, die etwas touristische Zuwendung verdient hätten. Max Brod gehört dazu, aber auch Rainer Maria Rilke, Franz Werfel und Friedrich Adler. Sie hätten sich möglicherweise sogar gefreut, hätte man ihnen zu Lebzeiten verraten, dass man ihnen nach ihrem Ableben ein Denkmal errichten würde. Kafka seinerseits, der allzeit Verschlossene, gegen dessen Willen sein Freund Brod zahlreiche Werke veröffentlichte - ob es ihm gefiele, wüsste er von seiner Rolle als intellektuelles Werbemuster Nummer Eins, ist zweifelhaft. Es entbehrt daher freilich nicht einer gewissen Ironie, dass nur wenige Meter neben einem "Kafka Bookshop", der Kafkas Bücher in allen erdenklichen Zuständen, Layouts und Übersetzungen feilbietet, im Shop eines Kunstmuseums PopArt-Bildbände und Warhol-Drucke verkauft werden. Ich habe mich heute gefragt, was für Andy Warhol typischer gewesen wäre: Kafka, der die gewerbemäßige Verbreitung seiner Persönlichkeit nie bezweckte, in einem seiner Porträts à la Marilyn Monroe zu verarbeiten, oder die Produkte, die durch dieses Gewerbe entstanden sind, selbst. Hiermit steht mein Beschluss, die mit Kafkas Silhouette bedruckten Zuckerpäckchen zu sammeln und sie als Hommage an Andy Warhol, der es leider nicht selbst tun konnte, zu einer großen Plakat-Collage zusammenzufügen.
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