Freitag, 7. Mai 2010

Wahlkämpfernaturen

Diejenigen unter euch, die ich hin und wieder mit meinen wissenschaftlichen Interessen behellige, wissen um mein Magistervorhaben: Ich möchte die These zu formulieren, dass sich Geschichtsaufarbeitung positiv auf die politische Kultur einer Gesellschaft auswirkt. Demzufolge würde bei steigender historischer Kenntnis auch der Wille, aktiv am politischen Miteinander zu partizipieren, wachsen. Der Zusammenhang zwischen Geschichtsaufarbeitung und einer positiven politischen Kultur erschien mir bislang immer als zweifellos gegeben. Das Resultat großer Informiertheit, dafür hätte ich bis vor kurzem plädiert, ist notwendigerweise gut.

Gerade erlebe ich mit
, wie sich am Beispiel des Wahlkampfs zu den tschechischen Parlamentswahlen Ende Mai meine These bestätigt - allerdings mit einer Konsequenz, die mir nie in den Sinn gekommen wäre.
Die Kampagnen der tschechischen Parteien
, die zu den Wahlen antreten, wirken wie Negativwerbung. Es ist, wie wenn Burger King in seinen Reklamespots das McDonald's-Personal ins Lächerliche zieht: Die politischen Kontrahenten hacken vor allem aufeinander herum anstatt sich selbst zu profilieren.
Dann gibt es da eine Reihe von ganz jungen Parteien
, allen voran die bei Jugendlichen beliebten Neuerscheinungen "Öffentliche Angelegenheiten" sowie "TOP 09". Besonders erstere ist entschlossen, schon mit Hilfe ihres Namens "Demokratie" ins Land zu schreien - suggerierend, dass diese Staatsform hierzulande in Gefahr sei.

Nun ist es grundsätzlich wahr
, dass Korruption ebenso wie politische Intransparenz in Tschechien Probleme sind. Das werfen gerade diese beiden neuen Parteien der amtierenden Regierung vor - Präsident Klaus reagiert darauf leichtfertig damit, die Empfehlung an Erst- wie Wiederwähler auszusprechen, bloß nicht eine jener genannten Parteien seine Stimme zu geben. Klaus' Begründung lautet dabei ironischerweise, die jungen Parteien seien eine Bedrohung für die Demokratie - also genau das, was diese in dem immer kommentarbereiten Präsidenten sehen.
Hauptproblem an den tschechischen Parlamentswahlen ist das geringe öffentliche Interesse dafür. Nur knapp über 50 Prozent der Bürger haben bei den vergangenen Wahlen ihre Stimme abgegeben
, darunter weniger junge Menschen als jene älteren Staatsbürger, die noch die kommunistischen Zeiten kennen, in denen jeder wählen musste. Nicht nur der Zwang zur Wahl ist vielen erhalten geblieben, auch der damals zu wählenden Partei - heute leider noch immer existent - gibt ein Großteil davon ihr Kreuzchen.

Der Coup, den sich nun die Anhänger von "TOP 09" und "Öffentliche Angelegenheiten" ausgedacht haben, ist gerade zu genial und meines Wissens vorbildlos. Seit einiger Zeit kursiert auf den tschechischen Seiten von Youtube ein Video. Der Inhalt: Junge Wähler demonstrieren, wie alle tschechischen Erstwähler die eigenen Großeltern überreden sollten, bei der anstehenden Wahl nicht links zu wählen. Nicht links, das bedeutet im Klartext: Weder die Kommunisten noch die Sozialdemokraten.
Einige Zeitungen und Magazine
, insbesondere freilich die bürgerlich gesinnten, die auch viele junge Leser haben, unterstützen diese - was ist sie eigentlich? gesellschaftliche? - Kampagne indirekt, indem sie die Jugendlichen (beliebtes Synonym hierfür ist in Tschechien die "Generation Facebook") für ihren Mut, ihre Meinung zu äußern, loben. Die Frage ist natürlich: Wie viel hat diese Aktion mit Meinungsäußerung zu tun, wie viel mit Meinungsmanipulation?
Ende dieser Woche ist die Situation zwischen den Wahlkämpfenden und der Presse eskaliert. Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten wurde bei einer Wahlveranstaltung von einem - nunja
, ihn sicherlich nicht wählendem - Teilnehmer ins Gesicht geschlagen und musste über Nacht ins Krankenhaus. Einen Tag später, nachdem einige Tageszeitungen dieses Ereignis mit dem Großeltern-Video in Zusammenhang gebracht hatten, gaben die Sozialdemokraten den Boykott fünf wichtiger hiesiger Zeitungen und Magazine bekannt.

Die Sozialdemokraten fühlen sich natürlich ganz zu Recht beleidigt
, dass sie von der Jugend mit den Kommunisten gleichgesetzt werden und Hetze gegen sie betrieben wird. Kritikern der Video-Kampagne missfällt außerdem der Gedanke, mit Überredungskunst alte Verwandte von ihrer Position abzubringen zu versuchen. Einer meiner Gesprächspartner fand, das Überreden sei nur einen kurzen Schritt davon entfernt, das Kreuzchen für die Großeltern selbst zu übernehmen.
Mir stößt das Video aus einem anderen Grund sauer auf. Es trifft meines Erachtens keine politische Aussage
. Atattdessen stellt es eine ganze Gesellschaftsgruppe als unmündig dar. Die Jugendlichen, die auf dem Video zu sehen sind, wollen zeigen, dass ihre Großeltern aus Gewohnheit statt aus Überzeugung wählen und es daher legitim sei, ihnen die Wahl einer anderen Partei einzureden. Schwierig scheint das Ganze auch nicht zu sein: Großeltern sind alt, ergo dumm.

Wie in Deutschland die 68er, werden in Tschechien auch die Vertreter der "Generation Facebook" in die Geschichtsbücher eingehen als die Generation, die ihre Eltern und Großeltern mit deren Abhängigkeit von der Autorität konfrontiert hat. Doch wie die 68er auch wird sich die "Generation Facebook" in noch späteren Geschichtsbüchern kritischen historischen Perspektiven stellen müssen, die auf die unsachlichen und unfairen Argumente in dieser Konfrontation hinweisen werden. Denn die Jugendlichen, die ihre Großeltern mit - wohlgemerkter uninformierender - Überredungskunst zum Umwählen bringen wollen, übernehmen schlichtweg die Taktik der Kommunisten: Sag den Leuten, was sie wählen sollen und sie tun es. Zumindest dann, wenn man "sagen" locker definiert.

Sonntag, 2. Mai 2010

Paris - Prag


Als ich vor wenigen Tagen von reiseliterarisch gebildeten Freunden gefragt wurde, ob Prag meiner Ansicht nach die Bezeichnung "Paris des Ostens" verdient hätte, reagierte ich sofort mit einem überschwenglichen "Ja!". Prag hat alles, was Paris zu haben meint: Kunst, Kultur und "Szene". In einem meiner reflektierten Momente rekapitulierte ich noch einmal das Gespräch und fragte mich, wer eigentlich auf die Idee gekommen war, Prag als neues Paris zu betiteln. Freilich hat der Vergleich etwas Pathetisches, Unberührtes; eine Kombination, die wohl jeder Reisejournalist mit Wortspielen zu erreichen sucht. Die Frage ist: Ist der Vergleich ein Original?
Um herauszufinden, wer so viel Pathos in seinen Reisebericht gelegt und das romantische Paris mit dem unzugänglichen Osten in Zusammenhang gebracht hatte, startete ich originellerweise eine Google-Recherche. Folgende Stichpunkte sind Zusammenfassungen von dem, was ich unter den obersten Treffern fand:

1. Budapest - Paris des Ostens
2. Bulkowina - Paris des Ostens
3. Shanghai - Paris des Ostens
4. Warschau - Paris des Ostens
5. Riga - Paris des Ostens
6. Wien - Paris des Ostens
7. Bukarest - Paris des Ostens
8. Leipzig - Paris des Ostens
9. Gaziantep - Paris des Ostens
10. Beirut - Paris des Ostens

Die Auflistung spricht für sich selbst, sodass ich auf jegliche sarkastische Anmerkung verzichte. Selten habe ich ein so treffendes Beispiel dafür gefunden, wie seltsam undefiniert "der Osten" in der Umgangssprache ist. Dafür scheint Paris weitaus weniger einzigartig zu sein als sein Ruf es uns Glauben machen will. Wir finden es auf zehn Orten der Welt zwischen Wien und Shanghai - Prag nicht mitgerechnet. Das sind 8478 Kilometer, in denen wir zehn "Parise des Ostens" vorfinden, das näheste davon liegt mehr als 1200 Kilometer vom richtigen Paris entfernt.
Verzweifelt habe ich versucht, eine Gemeinsamkeit auszumachen, die erklären könnte, wie es zur gleichen Synonymisierung für alle diese Städte kam. Verschiedene Lösungsvorschläge gingen mir durch den Kopf: Städte im Landesinneren - umgeben von Bergen - Groß-/Hauptstädte - ehemalige (oder noch aktive) Diktaturen - bevorzugterweise (Ex-)Kommunismushochburgen. Doch all das ist fahrlässig aus dem Ärmel geschüttelt und wirft vor allem eine Frage auf: "Was hat das mit Paris zu tun?" Die Antwort darauf ist einfach. Sie lautet: "Nichts".
Dennoch bestimmt Paris den Messpegel, nach dem bestimmt wird, ob eine Stadt "paris" genug ist, um als sehens- oder lebenswert zu gelten. Wie etabliert diese Methode, die Wertigkeiten von Städten zu benennen ist, erkenne ich im Nachhinein an mir selbst: Obwohl ich Paris nicht für eine herausragend schöne Stadt halte, werte ich es reflexartig als Kompliment, wenn man Prag mit ihr vergleicht und das, obwohl ich mich in Prag verliebt habe wie in kaum eine Stadt zuvor.

Am Ende habe ich doch eine vergleichbare Szenerie innerhalb beider Städte gefunden: Das sind der Pariser Stadtteil "Le Marais" und der Prager Park am tschechischen Senat auf der Kleinseite. Beide Orte taugen zum Entspannen und als Rückzugsort, wenn die Touristenmassen zu sehr einengen - wenngleich Prag auch noch trotz seiner Unmengen an Touristen nicht seinen romantisch-unberührten Charme verliert. Auf den muss Paris schon länger verzichten.