Mittwoch, 30. Juni 2010

Begegnungen I: Hans Magnus Enzensberger

Nun ist Hans Magnus Enzensberger ja nicht irgendwer. Er ist mein Lieblingsessayist, Lieblingslyriker, Lieblingsherausgeber. Mein Idol. Er ist aber auch Teil der verschwindenden deutschen intellektuellen Elite, einer der drei verbliebenen echten Dichter und Denker unseres Landes, die Marke HME. Natürlich habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um einen Interviewtermin mit ihm zu bekommen. Ein Gespräch mit ihm erschien mir noch wertvoller als eines mit Herta Müller, deren Prag-Besuch ebenfalls angekündigt war.
Ein Journalist, der viel Glück hat, kommt früher oder später in die Situation, einem seiner Vorbilder persönlich gegenübersitzen zu dürfen. Mit diesem Gegenüber hat man sich schon Jahre beschäftigt, man hat unendlich viele Fragen, die man ihm gern stellen möchte und natürlich hat man auch ein Bild im Kopf, das den Unerreichbaren gottesgleich aussehen lässt. Dieses Bild ist auch der Grund, warum der Journalist in den Minuten vor dem tatsächlichen Treffen in Panik ausbricht. Was, wenn man sich einen Charakter ausgemalt hat, der in keinster Weise demjenigen des Interviewten entspricht? Was, wenn man den Gegenbeweis für die eigene Menschenkenntnis erhält? Vor allem aber wird der Journalist feststellen, dass er die vielen Fragen, die er sich über all die Zeit hinweg zurechtgelegt hat, nicht wird stellen können. Zuerst wird er sich darüber natürlich ärgern. Wer für eine Zeitung schreibt, muss sich auch beim Interviewen dem Profil des Blatts anpassen und in erster Linie die Leserschaft bedienen und nicht sich selbst. Dass er sich also an aktuelle Themen und Bezüge zur Stadt, in der er schreibt, halten muss, spielt ihm nicht unbedingt in die Karten. Im nächsten Moment wird dem Journalisten jedoch klar werden, dass er die Fragen, die ihn am brennendsten interessieren, ohnehin nicht stellen kann. Oder hätte ich Herrn Enzensberger fragen können: "Wie tun Sie das bloß?!"?
Freilich nicht. Deshalb war ich schließlich froh, mich in meiner Rolle als Pressevertreterin hinter meiner Person verstecken zu können. Der größte Vorteil des Journalisten ist, dass er sich niemals rechtfertigen muss. Vielmehr war ich in der glücklichen Situation, das von Hans Magnus Enzensberger verlangen zu dürfen. Und mir ebenso im Klaren darüber, dass es kaum jemanden geben dürfte, der sich schwieriger aus der Reserve locken lässt als Enzensberger, der es gewohnt ist, bei den wichtigsten politischen Ereignissen, wirtschaftlichen Krisen und kulturellen Anlässen von der Zeit, dem Spiegel und der Süddeutschen um seine Meinung gebeten zu werden. Denn jemanden, der reflektierter ist als HME gibt es in ganz Deutschland nicht. Ebenso wenig fällt mir jemand ein, der seine differenzierte Meinung auch nur annähernd so präzise formulieren kann. So hätte auch ich gern an diversen Stellen unseres Interviews gefragt: "Herr Enzensberger, wie tun Sie das bloß?!" Jedes Wort ein Treffer, jeder Satz zitierfähig: So sprach ein 80-jähriger Schnelldenker zu mir, dem ich am liebsten einfach beim Sprechen zugesehen hätte anstatt dabei mitzuschreiben und mit einiger Verzögerung auf das Gesagte zu reagieren. Am Ende hielt ich ein druckreifes Interview in den Händen, das als einzigen Redigieraufwand eine rigorose Kürzung benötigte. Mehr als eine Stunde hatte ich mit Enzensberger gesprochen - beziehungsweise er mit mir - und hatte dabei letzten Endes doch die Gelegenheit, auch Fragen von persönlichem Interesse zu stellen. Tatsächlich glaube ich, dass ich auch etwas über den Charakter Enzensberger erfahren durfte. Der ist zwar nicht gottesähnlich, aber dafür im positivsten seiner Sinne menschlich. Auch nach dem Interview, in dem HME mich mit Vornamen ansprach, witzelte und sich von seiner freundlichsten Seite zeigte, habe ich noch unvergleichbar großen Respekt vor ihm.

Freitag, 11. Juni 2010

Begegnungen II: Bob Bob'n'doo Bob Bob Bob'n Dylan

In den wenigen Minuten, bevor das Konzert losging, war ich auf seltsame Weise apathisch. Wenn man einen Künstler so sehr bewundert wie ich Bob Dylan - und das schon seit so langer Zeit - dann birgt der Besuch seines Konzerts auch ein gewisses Risiko der Enttäuschung. Und die kann fatale Konsequenzen haben; im schlimmsten Fall kann man der Musik, die einen so lange begleitet hat, vielleicht nicht mehr lauschen, ohne dass einen die Erinnerung an einen schlechten Live-Auftritt heimsucht. So saß ich also da, zwischen einem Journalisten, zwei enthusiastischen Fans, bei denen es sich offensichtlich um Vater und Sohn handelte und hinter einer Reihe von ergrauten Männern mit Langhaarfrisur - Bob's Age würde ich mal schätzen, gefasst auf alles was da folge. Und die Wahrheit ist: Bob Dylan ist kein Konzertmusiker. Seine Lieder möchte ich eigentlich nicht hören, wenn Tausende von Menschen um mich herum sitzen, vor Aufregung schwitzend und auf ihren Stühlen herumzappelnd, und man nicht in Ruhe über den philosophischen Mehrwert eines Songs sinnieren kann, weil einem das Gejubele und Geklatsche im Anschluss an jede Darbietung eben daran erinnert, wo man sich befindet. Und das ist jedenfalls nicht ein ruhiges Eckchen zwischen dem eigenen Plattenspieler und der Stereoanlage, in das man sich bei jedem Mal Dylan-Auflegen pathetischerweise begibt. Das Konzert hätte also eine Enttäuschung werden können, wäre da nicht dieser Moment gewesen, der die Stimmung - zumindest für mich - verändert hat. Bob Dylan saß, wie insgesamt erstaunlich oft im Laufe des Konzerts, am Piano und stimmte "Just Like A Woman" an. Dass das Stück sowohl hinsichtlich der Melodie als auch des Texts zu meinen Lieblingskompositionen gehört, ist nicht der einzige Grund, warum die ersten Takte bei mir den turning point auslösten. Ich habe schon einmal eine großartige Version von "Just Like A Woman" bei einem Live-Konzert gehört und es mag zugegebenermaßen ziemlich ironisch klingen, dass es mich einen Umweg über die doch völlig verbotene Interpretation eines Dylan-Songs durch eine wunderbare Jazzsängerin kostete, aber: Der Moment war da, in dem ich nur noch die Musik wahrgenommen habe und ich mich erst in der o2-Arena wiedergefunden habe, als mein Hintermann mich versehentlich am Nacken streifte. Ich wollte schreiben: Der Moment, in dem Bob Dylan nur noch für mich gesungen hat, aber das wäre gelogen. Nicht nur weil es angesichts eines nahezu ausverkauften Stadions eine allzu offensichtliche Lüge ist, sondern auch, weil Bob Dylan es - und davon bin ich überzeugt - wie kein anderer versteht, die Distanz zum Publikum zu wahren. Bob Dylan will durch seine Musik sprechen - nur deswegen, und sehr viel weniger wegen seiner rauchigen Stimme, verkaufen sich seine CDs seit vier Jahrzehnten so gut. Wohl auch deshalb wechselte er kein einziges Wort mit den Zuschauern; das einzige Mal, dass er das Publikum direkt ansprach, war, um zum Schluss die Mitglieder seiner Band vorzustellen. Selbst der Abschiedsgruß verhielt sich nonverbal mit höflicher Verbeugung. Im Grunde ist auch "Zuschauer" ein falsch gewählter Begriff, denn Bob Dylan macht keine Show, er inszeniert allenfalls. Dieses Konzert hatte keine Leinwand, keine bunten Banner oder Flutlichter, sondern nur eine schwach beleuchtete schwarze Wand, auf der sich der Schatten Bob Dylans spiegelte. Die Bühne passte nicht in unser Zeitalter - eher noch in das imaginäre Wohnzimmer Bob Dylans, in dem ich eine ähnlich gemütlich aussehend gestaltete Instrumentallandschaft vermute, wo er sich je nach Lust nach und Laune eine Gitarre oder die Mundharmonika schnappen kann. Die dubiose Unterbrechung dieses ganzen stilechten Szenarios, zu dem eben auch die wie Jazzmusiker in schicke Anzüge gekleideten Bandmitglieder gehörten, gestaltete sich in Form von zwei Effekten, die sich nicht anders als mit unangemessen abrupt beschreiben lassen und die ich nur auf den individuellen Humor der Techniker zurückführen kann. Es ist nämlich einfach so, dass Bob Dylan keine Technik braucht, um seine Größe unter Beweis zu stellen. Der überdimensionale Schatten hinter seinem Rücken hat schon mehr Präsenz als es ein Popmusiker mit zig Leinwänden je haben könnte. Und auch Bob Dylan versteht es trotz seiner - vom gesanglichen Standpunkt abgesehen - Schweigsamkeit, sich als Star zu präsentieren. Er ließ minutenlang auf sich warten, bevor er nach zwei Stunden Konzert noch drei Zugaben spielte; außerdem symbolisiert wohl auch sein obligatorischer Cowboyhut eher die Bindung an die Fangemeinde als die Bekundung eines Rebellentums, das er heute nicht mehr nötig hat. Ein Smoking an Stelle vom sich in Jeanshose und -hemd äußernden "Tangled up in Blue"-Prinzip von vor Generationen spricht seine eigene Sprache. Aber diese Veränderung ist okay, denn Bob Dylan hat ja nie einen Hehl daraus gemacht dass er rollt und tumbled, dass er an Modern Times glaubt. Das unterscheidet ihn von vielen seiner Fans, die unterhalten werden wollen wie auf einem Rockkonzert und ein, nunja, restless farewell ausbuhen, weil sie den Unterschied zwischen Folk und Rock noch nicht begriffen haben. Ich war auch enttäuscht, als das Konzert vorbei war und dachte: "Ist es sein Ernst, nach einer halben Stunde aufzuhören mit der Musik?", habe dann aber mit Blick auf die Uhr festgestellt, dass mich mein Gefühl um zwei Stunden betrogen hat. Das spricht nur für Bob Dylan.