Freitag, 20. August 2010

Praha

http://www.youtube.com/watch?v=z8OLb1DK9HY

Except that the seaside's not the seaside.

Dienstag, 17. August 2010

Der Narziss in mir

Zum besseren Verständnis dieses Eintrags vorab eine Information: Ich möchte das aus dem Österreichischen stammende, wirklich schöne Fremdwort "fesch"1) stärker in unseren Sprachgebrauch integrieren und werde es von nun an zwecks eines abwechslungsreicheren Umgangs mit den deutschen Adjektiven immer wieder einfließen lassen. (Zu Eurer Beruhigung sei ebenfalls vorab gesagt, dass ich nicht vorhabe, die Vokabel trotz des ebendies suggerierenden Post-Titels zur Eigenbeschreibung zu verwenden.)

Die ganze Zeit mache ich mir Gedanken darüber, was und wer in dieser Stadt mir nach meiner Rückkehr nach Deutschland wirklich fehlen wird. Dabei ist mir heute aufgefallen, dass ich vor all den offensichtlich zu vermissenden Dingen und Personen noch gar nicht über jene ganz flüchtigen Bekannten nachgedacht habe, denen ich Tag für Tag begegne und zu deren Tagesablauf ich genauso gehöre wie sie zu meinem. Wahrscheinlich werde ich ihnen genauso fehlen wie sie mir.

Da ist der vietnamesische Verkäufer vom Potraviny an meiner Ecke, dem ich immer dann einen Besuch abstatte, wenn mir eine Kleinigkeit fehlt. Fast täglich also, und das seit vier Monaten. Seit etwa zwei Monaten hat unsere Beziehung ein insofern fortgeschritteneres Stadium erreicht, als dass er mir immer winkt, wenn ich den Zebrastreifen gegenüber seines Ladens überquere - selbst wenn ich dann direkt weiter nach Hause laufe.

Dann ist da der netteste Kellner der Welt, der im "Velryba" in der Prager Neustadt bedient und dessen ganze Erscheinung mich immer an das Neustadter Haardt Rock Café erinnert (auch wenn man den Qualitätsvergleich zwischen ihm und den dortigen Bedienungen* besser unterlässt). Insgeheim hoffe ich, dass er auch in Zukunft immer an mich denkt, wenn jemand eine halbvolle Kofola auf dem Tisch stehen lässt, wie es dort sämtliche meiner Besucher taten, die das Gebräu angesichts des niedrigen Preises und seines Kultstatus zwar unbedingt probieren wollten, es aber in keinem Fall austranken. Was den namenlosen Kellner zum außerdem geduldigsten Menschen Prags macht, ist der Umstand, dass er mir bei meinen Bestellungen bisher kein einziges Mal auf Englisch geantwortet hat (obwohl ich gehört habe, dass er es sehr gut spricht) und mir immer alle Zeit der Welt gibt, bis ich den Geldbetrag, den ich inklusive Trinkgeld für mein Essen zahlen möchte, korrekt ausgesprochen habe. Auch unsere Beziehung hat ein neues Level erreicht, seit er mich beim Zählen und Rechnen immer breit angrinst und hin und wieder meine Aussprache korrigiert (was meistens dann der Fall ist, wenn die Ziffer Vier in den Beträgen auftaucht). Ich werde ihn sehr vermissen.

Nicht zuletzt ist da eben auch dieser - aufgepasst - fesche junge Mann, dessen Arbeits- und mein "Schulweg" sich allmorgendlich kreuzen. Dass wir uns mittlerweile grüßen, wenn wir aneinander vorbeilaufen, erinnert mich immer an die Fahrstuhlsituationen aus amerikanischen Sitcoms. Davon abgesehen sind wir einander schon so bekannt, dass ich seine Montagskrawatte erkenne.

Die tiefste Beziehung habe ich jedoch zu einem Mann im Café Louvre. Sein Antlitz hängt im Bilderrahmen ganz hinten links auf der Wandseite des großen Saals und ist Motiv einer der lustigsten Fotografien, die ich kenne. Schon in meiner ersten Woche in Prag habe ich mir vorgenommen, so gut Tschechisch zu lernen, dass ich einen der Angestellten fragen kann, wer der Mann auf dem Bild ist und ob die Fotografie irgendwie zu erwerben ist. Es ist an der Zeit, diesen Vorsatz umzusetzen.
* außer Eva

Literaturangaben

1)http://de.wiktionary.org/wiki/fesch

Freitag, 13. August 2010

Abschied

Alleinsein ist eine gefährliche Sache; man gewöhnt sich so schnell daran. Weil ich zwar nicht gern einsam bin, es aber mag, mit meinen Gedanken allein zu sein, bin ich heute Abend nur mit mir selbst und meinem i-Pod durch Vinohrady spaziert. Zu Yann Tiersen und Tracy Chapman philosophierte ich also vor mich hin* und erlebte dabei einen dieser seltenen Augenblicke vollendeter geistiger Klarheit. Leider sind diese Augenblicke zu prägnant, um sie anschließend wiedergeben zu können. Sie sind jedenfalls voller Erkenntnisse, zum Beispiel derjenigen, dass es gar nicht so gut ist, sich selbst gegenüber allzu ehrlich zu sein. Denn auch dieser Zustand ist einer, an den man sich gewöhnt, und die Emotionalität, die daraus erwächst, ist alles andere als produktiv, auch wenn man sich das - vor allem im künstlerischen Sinne - gern einbildet.

Jetzt lasse ich mir von Sebastian Madsen vorsingen, dass das Leben nunmal grausam und schön ist und fühle mich, als hätte ich für den Liedtext Modell gestanden. Das passiert jetzt zum zweiten Mal. Vielleicht sollte ich mich der Indie-Szene mal als Muse zur Verfügung stellen. (Wahrscheinlich habt ihr einen größeren Nutzen, wenn ihr euch das Lied anhört anstatt meinen Eintrag zu lesen.) Mein Problem besteht eben gerade im Festhalten des Augenblicks. Das kann man eigentlich nicht, wie Sebastian Madsen schon so scharfsinnig erkannt hat, vor allem nicht mit einer Kamera. Mein ferneres Problem ist zudem, dass ich nicht nur den einen einzigen Augenblick einfangen will. Weil mein Abschied aus Prag so rasant näher rückt, bin ich regelrecht darauf erpicht, mir meinen Aufenthalt zu inszenieren.

Seit ich vor zwei Wochen den Havlíčkovy sady entdeckt habe, versuche ich krampfhaft, diesen Park zum Ende meiner Prag-Zeit noch zu meinem Lieblingsort zu machen, indem ich so oft es geht hingehe. Es ist wunderschön dort und ich kann mich nicht sattsehen an den Weinbergen, der Villa Gröbe und dem beruhigenden Geäst über den Wiesen und Bänken. Die Wahrheit ist natürlich, dass das Geäst mich keineswegs beruhigt. Ich sitze da, lese, schaue immer wieder hoch, um zu denken: "Es ist so schön, präg dir den Anblick ein!", weil ich weiß, dass man die Male, die ich in nächster Zeit hier verbringen werde, abzählen kann. Wenn ich zurück in Deutschland also auf die Frage, welcher mein Lieblingsplatz in Prag gewesen ist, mit dem Havlíčkovy sady antworte, werde ich in Wirklichkeit denken: "gewesen wäre! Wär ich doch nur länger dageblieben!"


Ich frage mich hier immer öfter, wie ich es in Urlauben eigentlich schaffe, mich meiner Umgebung einfach so hinzugeben, in dem Wissen, dass ich sie bald wieder verlassen muss. Vielleicht ist meine Einstellung bei kurzen Aufenthalten einfach eine grundsätzlich hingebende, wie wenn man im Flugzeug sitzt und sich denkt: "Entspann dich, du kannst jetzt eh nichts ändern." In Prag ist mir das leider in den vergangenen Wochen nicht mehr gelungen.


In letzter Zeit bin ich - was angesichts meines Noch-Wohnorts nun wirklich kein Zufall ist - immer wieder über eines der wahrscheinlich bekanntesten Zitate Franz Kafkas gestolpert. "Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen." Mir kommt es im Moment so vor, als wäre ich an diesem Punkt gerade angekommen und eine erzwungene Rückkehr einfach unnatürlich.

Neuerdings sind
meine Einträge viel zu Zitate-lastig. Trotzdem möchte ich dasjenige veröffentlichen, das der liebe T. meiner Situation entsprechend so treffend ausgewählt hat und das ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, als nach wie vor von "Irrungen, Wirrungen" geschädigte Fontane-Hasserin im Original nicht mal kenne.

"[…] und dann kommt Zerstreuung - ja, Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile."

*Merkt euch das für eine potentielle Umbenennung meiner fastallabendlichen Wegstrecke in den Prager Philosophenweg in, sagen wir, 80 Jahren.

Mittwoch, 4. August 2010

Glück

http://www.youtube.com/watch?v=PMK76UPYmEc

Nach einem besonders harten Arbeitstag ist mein Praktikum gestern offiziell zu Ende gegangen. Richtig bewusst geworden ist mir das allerdings erst heute, als ich aus Gewohnheit schier zu meinem zu meinem "alten" Arbeitsplatz zurückgekehrt wäre - und erst auf halber Strecke eine Kehrtwende zurück nach Hause machte.


Drei Monate klingen als tatsächlich vergangene Zeit unfassbar kurz, wenn ich sie der verspürten Intensität meiner Erfahrungen hier gegenüberstelle. Am Ende nahezu jedes meiner nunmehr zahlreichen Praktika habe ich gedacht, dass die Zeit in dem jeweiligen Betrieb zu kurz war, um den fachlichen und menschlichen Mehrwert zu erreichen, den ich mir bei der Bewerbung gewünscht hatte. Bei der Prager Zeitung war das anders. An keinem Schreibtisch (inklusive meines eigenen) habe ich bisher mit so viel Freude gesessen; dazugelernt habe ich wohl auch so viel wie es selbst durch einen doppelt so langen Aufenthalt wohl nicht zu übertreffen gewesen wäre. Und doch fühle ich mich wie herausgerissen aus einem Moment des Angekommenseins. Man sollte niemals mit etwas aufhören (müssen), wenn es gerade am meisten Spaß macht. Denn Erfüllung ist nie absolut, sondern immer steigerbar. Das stelle ich jeden Tag fest, wenn ich aus meiner Haustür trete und den Eindruck habe, meinem gefühlten Zuhause wieder um ein Stückchen näher zu sein. Prag macht das mit einem; es hält wirklich fest, weil es an jeder einzelnen seiner Ecken zwischen Übersichtlichkeit und Überraschungsgehalt schwankt.
Mit der Arbeit ist es ähnlich, und obwohl ich weiß, dass das Ende meines Praktikums nicht das Ende meines journalistischen Daseins ist, frustriert mich die Vorstellung, die Recherche zu Themen aufgeben zu müssen, die mir ans Herz gewachsen sind wie kaum welche zuvor.

Solche sind die schmerzhaften Resultate von uneingeschränkt guten Erlebnissen. Aus der "unerträglichen Leichtigkeit des Seins" ist mir ein Satz besonders in Erinnerung geblieben, an den ich in den vergangenen Tagen häufig denken musste. Er lautet ungefähr: "Wer die Stadt verlassen möchte, in der er lebt, ist nicht glücklich" und bezieht sich ironischerweise auf die Heldin, die sich in Prag so unwohl fühlt, dass sie ihm entfliehen möchte. In meinem Fall lässt sich die Aussage nicht nur in Bezug auf Prag umkehren, vielmehr wird mir zunehmend bewusst, dass die Sentenz auch in die andere Richtung funktioniert. Wer die Stadt, in der er lebt, um keinen Preis verlassen möchte, ist glücklich.

Zum ersten Mal überhaupt habe ich das Glück in seinen (fast) ausnahmslos allen Erscheinungen kennen gelernt. Mit der Menge an dem, was zusammenkommt, das man andernorts vermisst hat - pure Ästhetik, ehrliche Leidenschaft für das, was man tut, Herausforderung auf einer praktischen Ebene, Emotionsgeladenheit und Sensibilität für Dinge, an die man lange nicht mehr gedacht hat - steigt auch die Angst vor deren Verlust.

Ich betrachte es selbst gewissermaßen als Zynismus in meiner eigenen Geschichte, dass ich exakt dieses Problem vor meinem Amerika-Aufenthalt 2006 vorab bis ins Detail analysiert hatte. Vier Jahre danach kann ich mir eingestehen, dass ich dort bis auf wenige Ausnahmen keine unentbehrlichen Begegnungen hatte (dafür umso mehr verzichtbare), keine Sekunde ist seither vergangen, in der ich meinen Rückflug nach Europa als verlustreich betrachtet hätte.
Unter anderen Voraussetzungen bin ich nach Prag gekommen. Ich war voll Vorfreude, aber die wahrheitsgemäßen Gründe für mein Auslandssemester waren eben Ablenkung und Abwechslung.

Ich weiß heute nicht, ob ich "Prag" in vier Jahren als Gewinn oder Verlust bezeichnen werde. Hoffentlich sehe ich es wie Oscars Großmutter in "Extremely Loud and Incredibly Close", die in einem der ganz wenigen geschriebenen Sätze, die mich jemals zum Weinen brachten, sagt: "It's better to lose than never to have had." Um es so zu sehen, braucht man wahrscheinlich mehr Distanz als ich sie jetzt habe - schließlich befinde ich mich eigentlich noch im Zustand des have und nicht des lose.

Was ich wirklich sagen will, kann ich nicht ausdrücken, deshalb bleibt es bei einem verhältnismäßig kurzen Blogeintrag. Eines habe ich hier jedenfalls gelernt. Alles ist von der Geographie abhängig. Selbst das Glück.