Sonntag, 18. April 2010

Denn wenn ein Staat stürzt...

Prag hat einen neuen Erzbischof. Die Information hat mich für einen Augenblick mit Schrecken zu dem Termin zurück versetzt, den ich in Speyer zur Berichterstattung übernommen habe, als Karl-Heinz Wiesemann die Leitung des Speyerer Bistums übernahm und ich als wohl einziges vom heiligen Weg abgekommenes Schäfchen der pathetischen Polonaise von Ministranten, Pfarrern, Diakonen und eben dem Bischof zusehen musste. Der Termin in Speyer bestätigte weitgehend meine Vorurteile darüber, dass es sich bei Neubesetzungen in der Kirche um sehr exklusive Veranstaltungen handelt, die auf Außenstehende aufgesetzt und für den weltlichen Geschmack etwas zu, nunja, schwülstig wirken. Auch wenn die Kirche den Anspruch erhebt, dass sich die breite Öffentlichkeit für die Vergabe hoher Positionen interessieren sollte, so geht es den meisten Bürgern und sogar den Vertretern der Politik in Wahrheit doch - polemisch gesagt - am Arsch vorbei, wer Sub-Chef einer gänzlich undurchsichtigen Institution ist.
Ausgerechnet in Tschechien, das als am meisten säkularisiertes Land Europas gilt, verhält sich das umgekehrt. Wo 60 Prozent der Bürger sich selbst als Atheisten bezeichnen, ist tatsächlich von öffentlichem Interesse, was die Kirche tut und wie sie ihre Positionen besetzt. Die Debatte, die zwischen der Stadt Prag und den katholischen Vertretern mit der Einsetzung des neuen Bistumsrepräsentanten aufgeflammt ist, versprüht fast schon einen Hauch von mittelalterlichen Streitigkeiten zwischen Staat und Kirche. Wie sein Vorgänger will der neue Erzbischof, Dominik Duka, die Rückgabe der Eigentumsrechte des Prager Veitsdoms an die katholische Kirche durchsetzen. In den meisten postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas waren die unter der sowjetischen Herrschaft zwangsenteigneten Kirchenbesitze nach 1990 an den ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben worden. Nicht so der Veitsdom. Dass die Kommune ein großes Interesse daran hat, die Eigentumsrechte, so sie sie auch auf illegitime Art erhalten hat, zu behalten, ist nachvollziehbar. Ebenso nachvollziehbar ist auch das Argument der Kirche, mit der Aufrechterhaltung des derzeitigen Eigentümerstatus würden die Zwangsenteignungen unter sowjetischer Gewalt gerechtfertigt. Mit Dutzenden Gegenbelegen könnte man der Kirche auf diesen Vorwurf entgegnen. Wäre ich ein in seiner Partei ungeliebtes Mitglied namens T***o S*****n, würde ich nun jede Menge unangemessener Vergleiche zu Überbleibseln aus sämtlichen deutschen Diktaturen ziehen. Von Eva Herrmann ganz zu schweigen. Vielleicht macht man es sich - selbst als Religionskritiker - aber zu leicht, wenn man auf die Prager Problematik mit dem Argument antwortet, in Deutschland habe man letzten Endes die Anzahl der Kindertagesstätten seit 1990 vervielfacht, obwohl die Institution ursprünglich vom Schurkenstaat DDR eingeführt worden war. Dieser Vergleich hinkt zugegebenermaßen, weil die KiTa als solche wohl eine der objektiv als am legitimsten einzustufenden Maßnahmen aus der gesamten DDR-Geschichte gelten kann. Wäre es nicht zu vermessen, könnte die katholische Kirche jedoch auf eine der Feststellungen Martin Luthers pochen: "Denn wenn ein Staat stürzt, stürzen auch seine Gesetze." Man sieht, die Protestanten täten sich wohl leichter mit apodiktischen Formeln zur Rückeroberung ihres Guts.
Trotz der lutheranischen Weisheit begibt sich die Kirche auf dünnes Eis, wenn sie Forderungen wie diese an den Staat stellt. Geschichte lehrt wenig. Was Institutionen aber aus ihr lernen könnten, wäre, dass sie manchmal besser damit bedient sind, bestehende Tatsachen ruhen zu lassen, selbst wenn diese aus einer unrechten Situation heraus entstanden sind. Unangenehm wäre doch etwa die Vorstellung, sämtliche sich unfair behandelt fühlende Staaten hätten irgendwann nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf eine gerechtere Verteilung der europäischen Grenzen gepocht. Die betroffenen Staaten haben - Gott sei Dank - eingesehen, dass Gerechtigkeit relativ ist. Vermutlich liegt aber genau hier der Knackpunkt: Weil die katholische Kirche Gerechtigkeit als absoluten Zustand betrachtet, erhebt sie Anspruch auf etwas, das wohl fast jede andere Einrichtung als längst verloren und vergessen erachtet hätte.
Man müsse die Situation um den Veitsdom im historischen Kontext betrachten, sagte Duka bei seiner Amtseinführung. Nun gut, betrachten wir auch die katholische Kirche einmal im historischen Kontext. Was unterscheidet sie wirklich von der sowjetischen Diktatur? Soweit ich sehen kann, vor allem eins: Der sowjetische Kommunismus unterdrückte Menschen für etwas weniger als 70 Jahre, die katholische Kirche ist für jahrhundertelange Greueltaten an Menschen verantwortlich. Solange die Kirche es nicht vermag, den Heiden ihre Religionsfreiheit zurückzugeben, die Opfer der Kreuzzüge wieder zum Leben zu erwecken und afrikanischen Aids-Infizierten, die in Folge dessen, was sie von katholischen Missionaren erzählt bekamen, keine Kondome benutzt haben, ihre Gesundheit wiederzugeben, sollte sie nicht mit verjährten Forderungen für negativen Aufruhr sorgen, den sie zur Wahrung ihres derzeitig schlechten Images ohnehin nicht nötig hat.

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