Mittwoch, 4. August 2010

Glück

http://www.youtube.com/watch?v=PMK76UPYmEc

Nach einem besonders harten Arbeitstag ist mein Praktikum gestern offiziell zu Ende gegangen. Richtig bewusst geworden ist mir das allerdings erst heute, als ich aus Gewohnheit schier zu meinem zu meinem "alten" Arbeitsplatz zurückgekehrt wäre - und erst auf halber Strecke eine Kehrtwende zurück nach Hause machte.


Drei Monate klingen als tatsächlich vergangene Zeit unfassbar kurz, wenn ich sie der verspürten Intensität meiner Erfahrungen hier gegenüberstelle. Am Ende nahezu jedes meiner nunmehr zahlreichen Praktika habe ich gedacht, dass die Zeit in dem jeweiligen Betrieb zu kurz war, um den fachlichen und menschlichen Mehrwert zu erreichen, den ich mir bei der Bewerbung gewünscht hatte. Bei der Prager Zeitung war das anders. An keinem Schreibtisch (inklusive meines eigenen) habe ich bisher mit so viel Freude gesessen; dazugelernt habe ich wohl auch so viel wie es selbst durch einen doppelt so langen Aufenthalt wohl nicht zu übertreffen gewesen wäre. Und doch fühle ich mich wie herausgerissen aus einem Moment des Angekommenseins. Man sollte niemals mit etwas aufhören (müssen), wenn es gerade am meisten Spaß macht. Denn Erfüllung ist nie absolut, sondern immer steigerbar. Das stelle ich jeden Tag fest, wenn ich aus meiner Haustür trete und den Eindruck habe, meinem gefühlten Zuhause wieder um ein Stückchen näher zu sein. Prag macht das mit einem; es hält wirklich fest, weil es an jeder einzelnen seiner Ecken zwischen Übersichtlichkeit und Überraschungsgehalt schwankt.
Mit der Arbeit ist es ähnlich, und obwohl ich weiß, dass das Ende meines Praktikums nicht das Ende meines journalistischen Daseins ist, frustriert mich die Vorstellung, die Recherche zu Themen aufgeben zu müssen, die mir ans Herz gewachsen sind wie kaum welche zuvor.

Solche sind die schmerzhaften Resultate von uneingeschränkt guten Erlebnissen. Aus der "unerträglichen Leichtigkeit des Seins" ist mir ein Satz besonders in Erinnerung geblieben, an den ich in den vergangenen Tagen häufig denken musste. Er lautet ungefähr: "Wer die Stadt verlassen möchte, in der er lebt, ist nicht glücklich" und bezieht sich ironischerweise auf die Heldin, die sich in Prag so unwohl fühlt, dass sie ihm entfliehen möchte. In meinem Fall lässt sich die Aussage nicht nur in Bezug auf Prag umkehren, vielmehr wird mir zunehmend bewusst, dass die Sentenz auch in die andere Richtung funktioniert. Wer die Stadt, in der er lebt, um keinen Preis verlassen möchte, ist glücklich.

Zum ersten Mal überhaupt habe ich das Glück in seinen (fast) ausnahmslos allen Erscheinungen kennen gelernt. Mit der Menge an dem, was zusammenkommt, das man andernorts vermisst hat - pure Ästhetik, ehrliche Leidenschaft für das, was man tut, Herausforderung auf einer praktischen Ebene, Emotionsgeladenheit und Sensibilität für Dinge, an die man lange nicht mehr gedacht hat - steigt auch die Angst vor deren Verlust.

Ich betrachte es selbst gewissermaßen als Zynismus in meiner eigenen Geschichte, dass ich exakt dieses Problem vor meinem Amerika-Aufenthalt 2006 vorab bis ins Detail analysiert hatte. Vier Jahre danach kann ich mir eingestehen, dass ich dort bis auf wenige Ausnahmen keine unentbehrlichen Begegnungen hatte (dafür umso mehr verzichtbare), keine Sekunde ist seither vergangen, in der ich meinen Rückflug nach Europa als verlustreich betrachtet hätte.
Unter anderen Voraussetzungen bin ich nach Prag gekommen. Ich war voll Vorfreude, aber die wahrheitsgemäßen Gründe für mein Auslandssemester waren eben Ablenkung und Abwechslung.

Ich weiß heute nicht, ob ich "Prag" in vier Jahren als Gewinn oder Verlust bezeichnen werde. Hoffentlich sehe ich es wie Oscars Großmutter in "Extremely Loud and Incredibly Close", die in einem der ganz wenigen geschriebenen Sätze, die mich jemals zum Weinen brachten, sagt: "It's better to lose than never to have had." Um es so zu sehen, braucht man wahrscheinlich mehr Distanz als ich sie jetzt habe - schließlich befinde ich mich eigentlich noch im Zustand des have und nicht des lose.

Was ich wirklich sagen will, kann ich nicht ausdrücken, deshalb bleibt es bei einem verhältnismäßig kurzen Blogeintrag. Eines habe ich hier jedenfalls gelernt. Alles ist von der Geographie abhängig. Selbst das Glück.

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