Freitag, 13. August 2010

Abschied

Alleinsein ist eine gefährliche Sache; man gewöhnt sich so schnell daran. Weil ich zwar nicht gern einsam bin, es aber mag, mit meinen Gedanken allein zu sein, bin ich heute Abend nur mit mir selbst und meinem i-Pod durch Vinohrady spaziert. Zu Yann Tiersen und Tracy Chapman philosophierte ich also vor mich hin* und erlebte dabei einen dieser seltenen Augenblicke vollendeter geistiger Klarheit. Leider sind diese Augenblicke zu prägnant, um sie anschließend wiedergeben zu können. Sie sind jedenfalls voller Erkenntnisse, zum Beispiel derjenigen, dass es gar nicht so gut ist, sich selbst gegenüber allzu ehrlich zu sein. Denn auch dieser Zustand ist einer, an den man sich gewöhnt, und die Emotionalität, die daraus erwächst, ist alles andere als produktiv, auch wenn man sich das - vor allem im künstlerischen Sinne - gern einbildet.

Jetzt lasse ich mir von Sebastian Madsen vorsingen, dass das Leben nunmal grausam und schön ist und fühle mich, als hätte ich für den Liedtext Modell gestanden. Das passiert jetzt zum zweiten Mal. Vielleicht sollte ich mich der Indie-Szene mal als Muse zur Verfügung stellen. (Wahrscheinlich habt ihr einen größeren Nutzen, wenn ihr euch das Lied anhört anstatt meinen Eintrag zu lesen.) Mein Problem besteht eben gerade im Festhalten des Augenblicks. Das kann man eigentlich nicht, wie Sebastian Madsen schon so scharfsinnig erkannt hat, vor allem nicht mit einer Kamera. Mein ferneres Problem ist zudem, dass ich nicht nur den einen einzigen Augenblick einfangen will. Weil mein Abschied aus Prag so rasant näher rückt, bin ich regelrecht darauf erpicht, mir meinen Aufenthalt zu inszenieren.

Seit ich vor zwei Wochen den Havlíčkovy sady entdeckt habe, versuche ich krampfhaft, diesen Park zum Ende meiner Prag-Zeit noch zu meinem Lieblingsort zu machen, indem ich so oft es geht hingehe. Es ist wunderschön dort und ich kann mich nicht sattsehen an den Weinbergen, der Villa Gröbe und dem beruhigenden Geäst über den Wiesen und Bänken. Die Wahrheit ist natürlich, dass das Geäst mich keineswegs beruhigt. Ich sitze da, lese, schaue immer wieder hoch, um zu denken: "Es ist so schön, präg dir den Anblick ein!", weil ich weiß, dass man die Male, die ich in nächster Zeit hier verbringen werde, abzählen kann. Wenn ich zurück in Deutschland also auf die Frage, welcher mein Lieblingsplatz in Prag gewesen ist, mit dem Havlíčkovy sady antworte, werde ich in Wirklichkeit denken: "gewesen wäre! Wär ich doch nur länger dageblieben!"


Ich frage mich hier immer öfter, wie ich es in Urlauben eigentlich schaffe, mich meiner Umgebung einfach so hinzugeben, in dem Wissen, dass ich sie bald wieder verlassen muss. Vielleicht ist meine Einstellung bei kurzen Aufenthalten einfach eine grundsätzlich hingebende, wie wenn man im Flugzeug sitzt und sich denkt: "Entspann dich, du kannst jetzt eh nichts ändern." In Prag ist mir das leider in den vergangenen Wochen nicht mehr gelungen.


In letzter Zeit bin ich - was angesichts meines Noch-Wohnorts nun wirklich kein Zufall ist - immer wieder über eines der wahrscheinlich bekanntesten Zitate Franz Kafkas gestolpert. "Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen." Mir kommt es im Moment so vor, als wäre ich an diesem Punkt gerade angekommen und eine erzwungene Rückkehr einfach unnatürlich.

Neuerdings sind
meine Einträge viel zu Zitate-lastig. Trotzdem möchte ich dasjenige veröffentlichen, das der liebe T. meiner Situation entsprechend so treffend ausgewählt hat und das ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, als nach wie vor von "Irrungen, Wirrungen" geschädigte Fontane-Hasserin im Original nicht mal kenne.

"[…] und dann kommt Zerstreuung - ja, Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile."

*Merkt euch das für eine potentielle Umbenennung meiner fastallabendlichen Wegstrecke in den Prager Philosophenweg in, sagen wir, 80 Jahren.

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